Drohnen (im Bild ein Drohn der Westlichen Honigbiene, Quelle: cc-by-sa 3.0 Waugsberg) sind nützliche Tiere. Und vermutlich weniger „ferngesteuert“ als die namensgleichen fliegenden Roboter. Michael Moorstedt weist in der SZ vom 26. Juni 2018 auf ein Video von Google hin, in dem der freie Wille von Menschen eher keine Rolle mehr spielt. Nur eine Spekulation, meint Google dazu. Wenn ich die – an und für sich wirklich lesenswerte! – Ende Juni 2018 erschienene Studie der Robert Bosch Stiftung Personalisiertes Lernen mit digitalen Medien. Ein roter Faden aufmerksam auf die darin nicht vorkommenden Aspekte hin analysiere, komme ich zur Ansicht, dass hier etwas zu viel „Google-Think“ in den Text hinein gerutscht ist.
Die Robert Bosch Stiftung nimmt sich mit dieser Studie, verfasst von Wayne Holmes, Stamatina Anastopoulou, Heike Schaumburg und Manolis Mavrikis, dankenswerter Weise eines noch viel zu wenig beleuchteten Themas an. So gut wie jede größere Studie und einschlägige Literatur der letzten Jahre schreibt digitalen Medien und Werkzeugen, richtig verwendet, große Wirksamkeit zu. Nachsatz: Hier wäre mehr Forschung wünschenswert. Ja genau! Und genau dieses Desiderat löst die Studie ein Stück weit ein. Die Autorinnen und Autoren spannen sehr profund und am aktuellen Wissensstand den Kontext der Digitalisierung im Bildungsbereich auf. Sie analysieren bereits vorhandene digitale Angebote für das personalisierte Lernen nachvollziehbar und kritisch. Und sie bieten Pädagoginnen und Pädagogen mögliche Kriterien für die Auswahl und den Einsatz dieser Tools an. So weit so gut.
„Im Gegensatz zur Individualisierung nimmt Personalisierung die soziale Verfasstheit der Lernenden ernst und trägt ihrer vielfältigen Verwicklung mit der Welt Rechnung, die sich in jedem Klassenzimmer zeigt. Lernen ist die persönlichste Sache der Welt, sodass Sie (als Lehrperson, Anm.) die damit in Zusammenhang stehenden Erfahrungen, die Bedeutungen, die die einzelnen damit verknüpfen, niemals vorwegnehmen können.“ (Evi Agostini)
Dieses, direkt an den Leser, an die Leserin gerichtete Zitat aus dem Buch von Evi Agostini, Michael Schratz und Erika Risse Lernseits denken – erfolgreich unterrichten entspringt einem weiteren Verständnis von Personalisierung, das zwar auf den ersten Blick in der Studie der Robert Bosch Stiftung ebenfalls immer wieder angesprochen wird, dort aber letztlich doch zu kurz kommt. Achtung, „Google-Think“! Oder auf gut österreichisch formuliert: „Die Software wird’s scho‘ richt’n.“ Auch wenn auf S. 54f. der Studie ausführlich davor gewarnt wird, in den vorgestellten Tools „Wundermittel“ zu sehen, so machen die in der Folge angeführten Punkte doch deutlich, dass der (insb. durch Irritation befruchteten) Erfahrung der Lernenden als bildende Kraft zu wenig Augenmerk geschenkt wird. Dass beispielsweise eine durch eine Web-Recherche (ok: schon wieder Google) ausgelöste Diskussion (evtl. verbunden mit Schreibaufgaben, Peer-Feedback und Medienproduktionsprozessen) sehr viel mehr (und um sehr viel weniger Geld) zum Lernen beitragen kann als extra angeschaffte, sog. „personalisierende“ Software, bleibt so leider außerhalb des Rahmens dieser Studie. Schade insbesondere deshalb, weil dem eine m.E. wesentliche Schlagseite in den Fundamenten der Studie zu Grund liegt.
Womit ich von der wesentlichen und bildenden Erfahrung der Irritation fürs Lernen wieder zu den Drohnen gelangt wäre. Die einen befruchten – kleine Ursache, große Wirkung. Die anderen sind ferngesteuert und haben ziemlich viel „Krieg“ in den „Genen“.
Nachgedanken
- Erster Nachgedanke (noch zur Studie): Die curriculare Kompetenz bzw. schulautonome Verantwortung für Bildungsprozesse wird meiner Wahrnehmung nach (und in Kenntnis aktueller Diskurse) darin eher unterbewertet. Mehr Mut und aufgeklärtes Selbstverantworten (leadership!) der Pädagoginnen und Pädagogen ist möglich und wäre wünschenswert.
- Zweiter Nachgedanke: Die Einführung digitaler Medien und Werkzeuge ist – abgesehen von der notwendigen Vermittlung digitaler Grundbildung – nicht Selbstzweck. Wenn es Fragen der Entwicklung und Verbesserung der Lernbedingungen und -prozesse geht könnte man zB Werkzeuge wie den EFF Teaching and Learning Toolkit mit seiner breiten Basis an Interventionsmaßnahmen zur Schulentwicklung zu Rate ziehen. Dieser Toolkit verwendet übrigens eine vergleichbare Darstellungslogik wie das Autor/innenteam der Studie der Robert Bosch Stiftung.
- Dritter Nachgedanke: Die Baden-Württemberger haben dem „Alles“, was sie außer Hochdeutsch können, nun wohl auch die Digitalisierung hinzugesellt. Ein Festival für digitale Bildung vor drei Tagen in Heidelberg legt eindrucksvolles Zeugnis davon ab.
- Vierter Nachgedanke: Wer anspruchsvolle Lektüre im Sommer nicht scheut, dem sei zusätzlich zum oben erwähnten Buch von Evi Agostini, Michael Schratz und Erika Risse Lernseits denken – erfolgreich unterrichten das unlängst veröffentlichte Opus Magnum von Stephan Schulmeister Der Weg zur Prosperität empfohlen.