Im Cambridge Dicitionary findet man für „moonshot“ folgende Erklärung: A plan or aim to do something that seems almost impossible. Am 25. Mai 2021 sind es genau 60 Jahre her, dass JFK mit seiner Rede im Kongress im wahrsten Sinn des Wortes den „moonshot“ bis zum Ende der Dekade (damals die 60er) „herbeiredete“. Mit Erfolg, wie wir seit Apollo 11 wissen.
Durch Corona scheint die Zeit großer Würfe (EU-Wiederaufbaufonds! Neustart Österreich!) einmal mehr gekommen. Wie wäre es also mit folgendem „moonshot“: Ich bin überzeugt, dass Österreich sich verpflichten soll, bis zum Ende dieser Dekade folgendes Ziel zu erreichen: die Schulen und das Bildungssystem neu zu bauen. Als Gebäude und in unserem Denken.
Warum wir einen „Neubau Schule“ brauchen? Weil alles andere in diesem Land höchstwahrscheinlich zu kurz greift. Gerade im letzten Jahr haben hunderttausende Kinder und deren Eltern hautnah erlebt, was wir eigentlich längst wissen: Unsere Schule funktioniert nach dem „Prinzip Glücksspiel“. Hat man die richtige Lehrperson „gezogen“, ist alles gut. Wenn nicht, dann nicht. Die Chancen stehen fifty-fifty – an einer besonders engagierten Schule vielleicht 70:30 oder sogar 80:20. Aber Schule bleibt Glücksspiel. Fragen Sie Ihre Kinder, Ihre Kollegen. Fragen Sie sich selbst. (Und auch Lehrpersonen – off the record befragt – werden Ihnen das ehrlichen – und traurigen – Herzens bestätigen.)
Die Gründe für diese systemische Schwäche sind vielfältig. Und die gerne ignorierten Nationalen Bildungsberichte sind voll mit Evidenzen dafür. Auch der Bildungsminister weiß das und wünscht sich – ich zitiere seine Aussage in einem Ö1-Interview sinngemäß – endlich einmal genug Zeit, um all den schulrechtlichen Wildwuchs aufzuräumen. So wird das nichts, Herr Bildungsminister. Natürlich können wir noch lange weiterwurschteln. Aber der Probleme unseres Bildungswesens und das „Gift“ des darin verbauten „schulkulturellen Asbests“ wird man nur durch den kollektiven Akt des Umzugs in einen gemeinsam geplanten Neubau Herr. Dabei handelt es sich sowohl um einen Neubau im Kopf als auch um einen Neubau aus Holz, Ziegeln, Beton, Stein und Glas. Also die ganzheitliche, pädagogisch-konzeptionelle Gestaltung verbunden mit dem entsprechenden Gebäude. Beides gleichzeitig. Die schulautonome Möglichkeit und Finanzierung des „handfesten“ Neubaus bis zum Ende dieser Dekade kann und wird auch den „Neubau im Kopf“ mit sich bringen. Das Knowhow ist da, weltweit gesammelt, erprobt und wissenschaftlich gut abgesichert.
Orientiert an diesen Erkenntnissen und Erfahrungen würde man solche Schulen, ein solches Bildungswesen daran erkennen, dass …
- Kinder und Lehrpersonen dort ganztägig Platz zum Lernen, Essen, Spielen, Arbeiten und Erholen finden;
- Eltern und Kinder allen Lehrkräften vertrauen;
- Erziehungsberechtigte jede Schule als besten, inspirierenden, lebendigen Ort für ihre Kind sehen können,
- Kinder am Ende ihrer Schullaufbahn diese ohne lebenslängliche Lernbehinderung verlassen;
- Schulstandorte darüber hinaus learning hubs für das Grätzl und Dorf, die Gemeinde, den Stadtteil sind;
- das Kollegium Lehren und Lernen als Teamplay betreibt;
- kostenlose Medien und Hardware (egal, ob Papier oder digital), Internetzugang und Apps verfügbar sind;
- eine Karriere im Schulwesen entweder in der Personalvertretung oder im Schulmanagement stattfindet;
- Schule wissenschaftlich und nicht parteipolitisch informiert ist, und in wesentlichen Belangen über eine Agentur nach dem Muster des OEAD serviciert wird;
- last, but not least, Lehrpläne alle zehn Jahre in einer partizipativen „Haupt- und Staatsaktion“ aktualisiert und damit allgemeine Bildung auch mit der Allgemeinheit ausgehandelt und weiterentwickelt wird.
All diese Ansätze und Orte gibt es auch schon in Österreich. Man muss nur wissen, wo man hinsieht. Nochmals: Das Knowhow, wie gute Schule „gemacht“ wird, ist vorhanden. Es käme darauf an, es anzuwenden und insbesondere politisch umsetzen zu wollen.
Ich bin überzeugt, dass Österreich sich verpflichten soll, bis zum Ende dieser Dekade folgendes Ziel zu erreichen: die Schulen und das Bildungssystem neu zu bauen. Als Gebäude und in unserem Denken.
Stichwort politisch. Umsetzen. Wollen. Es ist zehn Jahre her, dass das von Hannes Androsch initiierte Bildungsvolksbegehren mit fast 400.000 Stimmen auf hohem Niveau scheiterte. Der einstige Initiator bilanzierte zuletzt im März negativ. Keine der Forderungen wurde umgesetzt – es gab sogar Rückschritte. Und das sicher nicht aus mangelnder Innovationsfähigkeit und gutem Willen vieler engagierter Pädagoginnen und Pädagogen, sondern insbesondere aufgrund eines – leider – im Kern nachhaltig nicht mehr zeitgemäßen, ja in Teilen „vergifteten“ (Asbest!) Systems. Daher: neu bauen!
Vielleicht hat ein Volk das Bildungswesen, das es verdient. Wenn eine schweigende, aber dennoch entsprechend abstimmende Mehrheit kein anderes Bildungswesen möchte, dann ist das leider so. Gerade im letzten Jahr haben aber so viele (stimmberechtigte) Bürgerinnen und Bürger tiefe, dem Home-Schooling geschuldete, Einblicke in unser Schulwesen bekommen, die dazu führen könnten, dass „es jetzt reicht“. Oder besser: diese Schule uns nicht mehr reicht. Letztlich ist es „unsere Schule“, ein allgemeines Bildungswesen, das die Bürgerinnen und Bürger einer Republik (und nicht die Untertanen eines Obrigkeitsstaates) als ihnen und insbesondere ihren Kindern angemessen erkennen. Und finanzieren. Wie wäre es also, dieses Bildungswesen – auch in einem Akt souveränen politischen Handelns an allen Orten und auf allen Ebenen unseres Staatswesens –, also unsere Schulen gemeinsam im Kopf und in der Realität neu zu bauen?